Der Wunsch nach Freiheit im Herzen Europas: Tschechien (& die Slowakei) im Kommunismus
„Sich frei bewegen zu können, sich auszusuchen, wo man wie lebt und was man dort tut - alles Freiheiten, die uns heute selbstverständlich scheinen. Das waren sie für viele Europäer:innen, die mit dem Eisernen Vorhang leben mussten, jedoch lange nicht.“ So kündigte die Katholische Hochschulgemeinde Graz den Vortrag der Historiker Dieter Bacher und Philipp Lesiak vom Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung in Graz an, die in Kooperation mit dem Bildungsforum Mariatrost zum Auftakt der Reihe Europa – und jetzt? Zeitgenössische Fragen in bewegter Geschichte auf die faszinierende Geschichte des Landes, das heute die Tschechische Republik ist, blickten.
Lesiak, ein kuratorisch erfahrener Experte für tschechoslowakische Zeitgeschichte im niederösterreichischen Grenzlandkontext, gab einen bis in die k.k.-Zeit zurückreichenden, instruktiven Einblick in die Geschichte des „Industriechampions“ und „Vielvölkerstaats“ Tschechoslowakei. Dieser Vorgängerstaat des heutigen Tschechien und der Slowakei war, so Lesiak, bis zum berüchtigten Münchner Abkommen von 1938 und der schrittweisen Machtergreifung der Nationalsozialisten im Land stark westlich orientiert sowie „die letzte Demokratie in Zentraleuropa“ und während der Ausbreitung des Kommunismus bis 1948 die letzte Demokratie im mittleren Osteuropa gewesen.
Der Nachrichtendienstexperte Bacher gab einen kenntnisreichen Einblick in die repressive Geschichte des Kommunismus, die sich etwa in einem brutalen Grenzregime, aber auch kirchenfeindlichen Maßnahmen widerspiegelte. Die „Katholische Kirche war eines der Feindbilder der Kommunistischen Partei“ der Tschechoslowakei, so der Historiker, der hier etwa das schillernde Beispiel eines gewissen Heinrich Ponta erwähnte. Dieser nach Österreich geflohenen Messdiener rettete Kirchen(kultur)güter vor dem kommunistischen Regime und brachte sie nach Österreich. Pontas „Schmuggler“-Ring war der tschechoslowakischen Staatssicherheit ŠtB immerhin ein 10.000 Seiten dickes Aktendossier wert. „Der ‚Iron Curtain‘ war also auch ein ‚Iconic Curtain‘“, ergänzte Bacher pointiert.
Trotz solcher Beispiele für Widerstand, Resilienz und Flucht zeigte sich: Das totalitäre System der Sowjetunion hielt Länder wie die Tschechoslowakei für 40 Jahre mit Repressionen auf kommunistischer Linie. Der „Wunsch nach Freiheit“ und der Drang, sich im Herzen Europas demokratisch entfalten zu können, waren aber letztlich zu groß und führte die beiden Nachfolgestaaten nach der „Samtenen Revolution“ 1989 später auch in die Europäische Union. In der von KHG-Bildungsreferent Daniel Pachner sorgfältig geführten Diskussion ergänzte Lesiak, dass sich der Wunsch nach Freiheit in den massenhaften Absetzbewegungen tschechoslowakischer Staatsangehöriger während der KP-Diktatur manifestierte – letztere waren eine „Abstimmung mit den Füßen“, so der Zeithistoriker. Man wählte die Freiheit durch Flucht in demokratische Länder wie Österreich. Florian Traussnig wies in seinem Grußwort als Vertreter des Bildungsforums Mariatrost auf die kooperative – also im besten Sinne „europäische“ – Dimension dieses wunderbar lehrreichen und spannenden Themenabends hin. Auf daher zur EU-Wahl im Juni!