EINSAMKEIT – Wie erleben wir sie? Was macht sie mit uns?
Ein wissenschaftlicher und therapeutischer Blick
Vortrags- & Gesprächsabend anlässlich des Welttages zur Seelischen Gesundheit am 10.10.2024
„Einsamkeit – Wie erleben wir sie? Was macht sie mit uns?“, war das Thema der intensiven Halbtagestagung, die die TelefonSeelsorge Steiermark und das Bildungsforum Mariatrost gemeinsam mit dem Katholischen Bildungswerk Steiermark und mehreren Organisationen des Gesundheitswesens am 10. Oktober, dem Welttag der Seelischen Gesundheit, im äußerst gut besuchten Barocksaal in der Bürgergasse 2 anboten.
„In unserer Gesellschaft der Verfügbarkeit, der Kontrolle“ sei es dringend notwendig, das stetig wachsende Thema der Einsamkeit zu enttabuisieren, so Daniela Bauer MBA, Leiterin der TelefonSeelsorge Steiermark, in ihren einführenden Worten. Ein „Marktstand“ unterstützender Organisationen wie der Krankenhausseelsorge Steiermark, der Elisabethinen Graz und auch von GO On – Suizidprävention Steiermark bot daher den zahlreichen Besucher:innen zu Beginn der Tagung die niederschwellige Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen und sich im Bedarfsfall hilfreiche, individuell aufbereitete Informationen abzuholen.
„Meine Seele tut so weh.“ – „Arm und alt sein macht einsam.“ – „Ich habe etwas so Positives erlebt – darf ich es Ihnen erzählen? Ich habe sonst niemanden.“ Mit diesen und anderen „Blitzlichtern“ aus der Alltagspraxis der TelefonSeelsorge Steiermark machte Leiterin Daniela Bauer deutlich, auf welch unterschiedliche Weise sich das Leiden von einsamen Menschen äußern kann – und wie groß die Redebedürftigkeit häufig ist. Den Mut zu haben, im privaten Umfeld – sei es in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz oder in der Familie – einsame Menschen auf ihre Lage anzusprechen, sei meist der entscheidende Schritt, um die Einsamkeitsspirale zu durchbrechen und folgenschwere Erkrankungen (wie eine Depression) zu verhindern. Auf professioneller Ebene brauche es fundierte Ursachenforschung und konkrete Interventionsarbeit, so Bauer.
Dies unterstrich Dr. phil. MSc. psych. Mareike Ernst (Alpen-Adria-Universität Klagenfurt) mit ihrem gehaltvollen Vortrag „Was ist Einsamkeit aus wissenschaftlicher Perspektive?“. Zugleich machte sie deutlich, dass zum einen Einsamkeit per se keine Krankheit sei und zum anderen vom „angenehmen Alleinsein“ – im englischen Sprachraum als „Solitude“ bezeichnet – zu unterscheiden sei. Wenn jedoch dauerhaft „die gewünschten sozialen Beziehungen nicht mit den tatsächlichen sozialen Beziehungen übereinstimmen“ (Diskrepanzdefinition), Einsamkeit also chronisch werde, wirke sich dieses Defizit schmerzhaft aus und sei mit Hunger oder Durst vergleichbar.
Mit dem „sozialen Durstgefühl“ gehe eine wesentliche Funktion der Einsamkeit einher: ein Alarmsignal, das uns zum Handeln bringen sollte! Um der möglichen „Abwärtsspirale“ – sozialer Rückzug, verbunden mit Abwertung des eigenen Selbst – entgegenzutreten, sei die „Upward Spiral“ notwendig, d.h. das Zugehen auf einsame Menschen, denn „jeder kleine Kontakt fördert den nächsten“. Wichtig sei, präsent zu sein, wenn wir andere treffen, flüchtige Interaktionen bewusst und freundlich gestalten und unsere „strong ties“ (tiefe Freundschaften) als auch unsere „weak ties“ (lose bzw. alltägliche Kontakte) zu pflegen. Lokale, niederschwellige Initiativen wie Begegnungscafés oder Plauderbänke seien hilfreich, um Menschen zusammenbringen. Österreichweit brauche es jedoch, so Dr. Ernst, eine klare Strategie, um das kollektive Erleben der Einsamkeit besprechbar zu machen und um folgenschwere Krankheiten vorzubeugen.
Dieser Meinung waren auch die Expert:innen der anschließenden Podiumsdiskussion: Informationen über präventive psychosoziale Versorgungsarbeit gilt es, optimal in die Breite zubringen und „die Leute dort abzuholen, wo das Thema unter den Nägeln brennt“, so DDr. Susanna Krainz, Gesundheitsfonds Steiermark. Es brauche zudem „Wissen, um miteinander zu kommunizieren, und neue Wege, dieses Wissen zu vermitteln“, ergänzte Mag. Gerhard Hermann der GFSG – Gesellschaft zur Förderung seelischer Gesundheit.
Den Eltern der digital bestens vernetzten, aber immer einsamer werdenden Jugendlichen rät Lukas Wagner, MSc., Psychotherapeut in freier Praxis, sich mit der digitalen Welt ihrer Kinder aktiv auseinanderzusetzen und vor allem offline Beziehungsangebote als gute, annehmbare Alternative anzubieten. Hauptziel aller Präventivarbeit sei, „Menschen zu stärken und zu bilden, bevor Krankheiten mit gravierenden Folgen überhaupt entstehen“, betonte Mag. Sigrid Krisper, Projektleitung GO-ON – Suizidprävention Steiermark in der Schlussrunde des intensiven Gesprächs mit den Tagungsteilnehmer:innen. In ihren Dankesworten äußerte Daniela Bauer noch den ausdrücklichen Wunsch, im kommenden Jahr eine Folgeveranstaltung, inklusive der Präsentation von Good-Practise-Beispielen, durchzuführen. – Alle beteiligenden Organisationen sind hierfür wieder mit im Boot!