Alles „Fake News“? – Online-Vortrag und -Gespräch mit Propagandaforscher Stefan Auer
Wie soll ich durch unsere moderne, digitale Medienwelt navigieren? Was kann ich der heutigen Informationsüberlastung und der Überflutung mit Falschnachrichten entgegenhalten? Wie überprüfe ich Fakten am besten, wie erkenne und durchschaue ich Fehlinformationen, Propaganda und „Fake News“?
Diesen Fragen stellte sich Stefan Auer, Forscher beim Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS) und Leiter des Sicherheitsinformationszentrums (SINFO) in Graz im Rahmen unseres Webinars Alles „Fake News“? – Die Gefahr der digitalen Desinformation, gefördert von der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung. Moderator Florian Traussnig zitierte einführend aus dem Buch Fake News machen Geschichte, in dem steht, dass „sachlich falsche Nachrichten über politische Zusammenhänge […] zu einem politischen Ereignis führen“ können – dieses Ereignis, so Traussnig, sei, überspitzt gesagt, die Krise der Demokratie. Letzterer sei eine Erkenntnis- und Medienkrise vorgelagert.
Das Zeitalter der Empörung
Der an der Schnittstelle zwischen handfester Sicherheits- und Aufklärungsarbeit und wissenschaftlichem Diskurs wirkende Propagandaexperte skizzierte zunächst „unseren medialen Raum“ (der laut Philosophin und Medienethikerin Claudia Paganini nicht weniger als „unser Lebensraum“ ist; Anmerkung F.T.). Auer veranschaulichte, wie zunehmend „deinstitutionalisierte“ (Internet-)Medien unser Weltbild mitformen und immer mehr Teilnehmer:innen sowie Sender den Medienraum durchwimmeln und um die Aufmerksamkeit – die als das „Gold der digitalen Zeit“ gilt – buhlen.
Habe es früher etwa noch im staatlichen Fernsehen einen „Sendeschluss und ein Testbild“ gegeben, so würden die gesellschaftlich zunehmend fragmentierten Medien-Player selbst sowie vor allem auch die Rezipienten und User:innen in einem „Age of Outrage“ (Jonathan Haidt) leben; viele Menschen würden unter medialer Überlastung leiden und permanenter Emotionalisierung sowie Moralisierung ausgesetzt sein, so Auer. In Folge deklinierte er die Charakteristiken und Funktionsweisen moderner Medien konzise, kritisch und klar formulierend durch. Vom analogen oder gedruckten „Magneten“ – man vergleiche das mittlerweile überholte Bild des gemeinsamen Fernseh-Erlebnisses als „Lagerfeuer der Nation“ oder bestimmte Zeitungen, die von vielen gleichzeitig gelesen wurden – sei der Diskursraum zu einer aufwühlenden, digital flirrenden „Zentrifuge“ geworden.
Der keineswegs rationale Mensch
Dieser neue Medienraum öffne dem neuen apokalyptischen Reiter namens Desinformation Tür und Tor, so Auer, und begünstige die rasche Verbreitung von Inhalten – wer ein Smartphone besitze, könne die „Gatekeeper“-Funktion klassischer Medien rasch umgehen und natürlich auch problematische „Informationen“ verbreiten, während im Zeitalter der „Bots“ und der Künstlichen Intelligenz der Aufwand für Falsifizierung steigen würde. Offene Gesellschaften wie die unsere seien durch digitale Fehlinformationen oder Propaganda besonders gefährdet, so der Experte. Auer differenzierte auch zwischen relativ harmloser Fehlinformation, bewusster, aber meist punktueller Falschinformation sowie absichtlich erstellten Fake News, die nicht nur in die Irre führen, sondern wie seriöse Nachrichten daherkommen. Gekoppelt mit unserer nach Bestätigung suchenden menschlichen Natur sowie unserer ebenso menschlichen Wahrnehmungsverzerrung und Voreingenommenheit („Bias“), zeige sich, warum es „Fact Checker“ im Zeitalter eines Donald Trump oder von russischen „Trollfabriken“ sehr schwer haben und der aufgeklärte Mensch letztlich nur ein mythisches Idealbild sei.
Es braucht geistige Selbstverteidigung und Mut
Alles faul im digitalen Staate also? Keineswegs. Auer, der an das mündige Individuum und die Lernfähigkeit der Politik glaubt („sie reagiert jetzt“ auf die neue Social-Media-Lage) sowie ein Grundvertrauen in Institutionen und (Qualitäts-)Medien als Apriori definiert, plädierte für den realistischen und – ja – kämpferischen Ansatz der „intellektuellen Selbstverteidigung“ und den Erwerb digitaler Medienkompetenz mithilfe des Dreischritts: Wissen (Konzepte, Fakten, Fähigkeiten), Technologie (Werkzeuge, Ressourcen), Prinzipien (Emotionen, Bias, Quellenkritik). Unter dem Motto „Das Internet kann uns auch helfen“ veranschaulichte er konkret, wie das Netz nicht nur zur Verbreitung, sondern auch zur Enttarnung von Falschnachrichten, („KI“-)Bildpropaganda und Verschwörungserzählungen genutzt werden kann; den Teilnehmer:innen und engagierten Hörern gab er sogleich eine hilfreiche „Toolbox“ zur Hand.
Bei der Rezeption, dem Verfassen und Teilen von Nachrichten gelte es, eigene Emotionen gründlich zu hinterfragen und bei weltanschaulichen Debatten im Netz nicht missionarisch zu agieren. Auch sich dem Bekenntniszwang in bestimmten Fällen zu entziehen und im sokratischen Sinne eigenes Nichtwissen zuzugeben, sei hilfreich und entlastend: „Wir sollten uns auch einmal zurücknehmen!“ „Die Zukunft unserer Demokratie baut auf mündigen und medienkundigen Menschen auf“, meinte Stefan Auer im Vorfeld des Webinars. Die sehr engagierte Fragerunde und tollen Rückmeldungen der Teilnehmenden machen Mut. Überlassen wir das Netz nicht den Verschwörungserzählungen und Fake News, gestalten wir die neue Medienwelt aktiv mit!