Nachbericht: „Gebäude haben eine DNA“ - Finissage zur Ausstellung über die Polizei im Nationalsozialismus
Das Gedenkjahr 2025 – 80 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges, 70 Jahre Abschluss des Staatsvertrages – bietet einen besonderen Anlass, sich intensiv mit der Zeitgeschichte auseinanderzusetzen und Schlüsse für die Gegenwart sowie Zukunft zu ziehen. Bereits die vorangegangenen Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung „Hitlers Exekutive. Die österreichische Polizei und der Nationalsozialismus“ im Graz Museum fanden großen Anklang. Auch die Finissage mit der Podiumsdiskussion zum Thema „Gestapo-Zentrale Graz. Zum Umgang mit dem kontaminierten Erbe“, bei der Expert:innen sowie interessierte Besucher:innen sich über die historische Aufarbeitung und den heutigen Umgang mit diesem schwierigen Kapitel der österreichischen Zeitgeschichte austauschten, stieß auf großes Interesse.
Sibylle Dienesch, Direktorin des Graz Museums, begrüßte die Gäste und hob die Bedeutung der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hervor: „Museen sind Orte des Erinnerns. Die Auseinandersetzung mit dem was war, insbesondere auch mit den dunklen Kapiteln unserer Geschichte, bildet eine wichtige Basis für das Verständnis der Gegenwart und für die Gestaltung unserer Zukunft.“
Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung und Professorin für Europäische Zeitgeschichte, betonte bei der Begrüßung, „dass die Spuren des NS-Systems häufig auf den ersten Blick unsichtbar, aber eingebrannt in die Biografien, Landschafen und Gebäude sind. Gerade die ehemalige Gestapo-Zentrale Graz ist ein Kristallisationspunkt von Hitlers Exekutive.“
Unter der pointierten Moderation von Martin Haidinger (Ö1) diskutierten Christine Dornaus, Geschäftsführerin der Bundesimmobiliengesellschaft, Joachim Huber, Landespolizeidirektor-Stellvertreter Steiermark, Markus Roschitz, Historiker an der Universität Graz, Martina Zerovnik, Kuratorin der Ausstellung, und Barbara Stelzl-Marx, Projektleiterin, über den Umgang mit dem Erbe der ehemaligen Gestapo-Zentrale.
Bald nach dem „Anschluss“ wurde am Parkring 4 das Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei eingerichtet. Heute ist dieser Ort des NS-Terrors auf den ersten Blick unsichtbar geworden, weitestgehend vergessen. Im Innenhof des Polizeianhaltezentrums Paulustorgasse erinnert lediglich eine kleine Gedenktafel an die Opfer der Gestapo in Graz. Im Rahmen der Finissage wurde die Frage erörtert, welche Spuren die Gestapo-Zentrale hinterlassen hat und wie mit diesem kontaminierten Erbe umgegangen werden soll.
Christine Dornaus betonte: „Häuser haben eine DNA. [...] Als BIG übernehmen wir umfassende Verantwortung für unsere Häuser. Das betrifft selbstverständlich bauliche Aspekte wie die gezielte Modernisierung und Dekarbonisierung unserer Bestandsgebäude. Gleichzeitig haben wir auch die große gesellschaftliche Verpflichtung, uns mit der Geschichte unserer Häuser auseinanderzusetzen.“ So fördere die BIGdas Forschungsprojekt über „Kontaminierte Gebäude“, zu dem auch die ehemalige Gestopozentrale im Gebäudekomplex am Parkring 4 beziehungsweise in der angrenzenden Paulustorgasse zählt.
Viele Fragen drehten sich um die Verantwortung des Staates und der Gesellschaft. Joachim Huber unterstrich die besondere Verantwortung der Polizei: „Die Geschichte der Exekutive im Nationalsozialismus zeigt, wie staatliche Macht missbraucht werden kann. Daher trägt die Polizei eine besondere Verantwortung, aus ihrer Geschichte zu lernen, demokratische Werte aktiv zu schützen und eine rechtsstaatliche sowie menschenrechtskonforme Polizeiarbeit zu gewährleisten.“
Markus Rieger-Roschitz, der am Ende an einem biografischen Beispiel auch Grautöne und Ambivalenzen fernab jeglicher Moralisierung veranschaulichte, ergänzte: „Die Erforschung der Polizei im Nationalsozialismus zeigt nicht nur ihr Mitwirken an Verbrechen, sondern auch individuelle Handlungsspielräume. Widerstand in der Polizei war selten, aber er hat existiert.“
„Mit der Ausstellung wollen wir nicht nur historische Fakten präsentieren, sondern auch Fragen zu Verantwortung, Täterschaft, Mitläufertum und Widerstand aufwerfen – Fragen, die bis heute relevant sind.“, hob die Kuratorin der Schau, Martina Zerovnik, hervor.
Abschließend resümierte Stelzl-Marx: „Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Polizei ist kein abgeschlossenes Kapitel, sondern ein fortwährender Prozess.“
Verfasst von Karin Graf-Boyko (BIK), ergänzt von Florian Traussnig